Gewissensfrage

„Sehr geehrter Dr Dr. E.,

so oft ich das Magazin der SZ in die Hände bekomme, ist die Rubrik „Die Gewissensfrage“, in welcher Sie ethisch-moralische Probleme aus dem Alltag ganz normaler Menschen beantworten und Denkanstösse geben, eine der von mir regelmäßig gelesenen.

Bei allem Interesse ist mir nun mehrfach folgendes aufgefallen: Menschen reden beispielsweise von moralischen Bedenken, weil sie ein Haushaltsgerät zu einem absonderlich niedrigen Preis gesehen und gekauft haben und sich hinterher darüber Gedanken machen, ob das mittelständische Unternehmen, das den Artikel so günstig verkauft hat, möglicherweise einfach nur den Preis falsch ausgezeichnet hat, was die Freude am Erwerb des Gutes beim Käufer erheblich schmälerte.

Sie wenden sich auf der Suche nach moralischer Erleuchtung an Sie,weil sie die kleine Tochter ihre muslimische Freundin besuchen ließen und nicht darauf bestanden, dass diese ein Kopftuch trägt, um der Kultur und Religion der gastgebenden Familie den nötigen Respekt zu erweisen.

Sie fragen sich, ob es im Nachhinein wirklich in Ordnung war, aus reiner Zeitnot eine Rolle Geschenkpapier in einem 1-Euro-Laden gekauft zu haben, obwohl davon auzugehen ist, dass derlei Artikel mit Sicherheit unter fragwürdigen Umständen produziert wurden. Sie denken an Selbstbestrafung, weil sie die unleidliche Kollegin nicht darauf hingewiesen haben, dass sie ein Stück Toilettenpapier am Schuh mit sich herumträgt, bevor diese in ein wichtiges Meeting (hihi, ich weiß, das ist ein Paradoxum) ging.

Aus all diesen Erfahrungen mit Ihrer Rubrik erwuchs in letzter Zeit folgende bohrende Frage in mir: Bin ich schon ein komplett moralisch verkommenes Subjekt ohne jeglichen ethischen Background und empathisch verkrüppelt, wenn mir einige dieser Fragen in den entsprechenden Situationen gar nicht in den Sinn kämen? Und wenn dies so sein sollte, wer hat Schuld daran? Die Eltern? Die Lehrer? Die Gesellschaft? Das neokapitalistische System, dass sich über uns gelegt hat? Bin ich rettungslos verloren?“

 

Anm. d. Red.: Dieser Brief wurde bislang nicht abgeschickt. Der Autor täte auch viel besser daran, eine andere Frage zu stellen, nämlich ob es okay sein könnte, das SZ-Magazin, welches in einem Coffee-Shop auslag, während der Kaffeepause nicht ganz durchlesen zu können und es deshalb einfach einzustecken, anstatt es der Gemeinschaft wieder zukommen zu lassen. Der Autor stellt diese Frage natürlich nicht, weil die Antwort auf der Hand liegt. Schämen sollte er sich! Pfui!

 

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